Aber ist das noch Value Investing?

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„Die Ärzte“ zweifeln vielleicht am heutigen Punkrock — bei mir geht es dagegen im heutigen Artikel um die Frage, inwiefern modernes Value Investing noch mit Benjamin Grahams klassischem Ansatz zu tun hat.

Value Investing ist sicher vielen im Börsenumfeld ein Begriff, genauso wie der berühmteste Vertreter der Disziplin, Warren Buffett. Ebenso gibt es „Value-Aktien“, die, so vernimmt man, von Value Investoren bevorzugt werden. Also alles klar im Value-Land?

Nicht ganz. Gräbt man etwas tiefer, so stößt man schnell auf Widersprüchliches. Nach gut 80 Jahren ist das vielleicht nicht überraschend. In der Tat hat sich seit den Tagen Benjamin Grahams so einiges getan, und innerhalb des Value Investing haben sich Unterdisziplinen aufgetan.

Daher zunächst ein kleiner Rückblick auf die Anfangstage des Value Investing. Als Urknall des Value Investing wird oft Benjamin Grahams Buch „Security Analysis“ zitiert, das er 1934 zusammen mit David Dodd veröffentlichte.

Die Grundsätze

Zwei wichtige Konzepte, die mit diesem Buch eingeführt wurden, ziehen sich durch alle Inkarnationen des Value Investing:

1) Eine Investition in eine Aktie ist grundsätzlich eine Investition in das zugrundeliegende Unternehmen. Es ist daher möglich, die Aktie anhand der Unternehmenskennzahlen zu bewerten.

2) Aktien werden am Markt manchmal irrational teuer, manchmal aber auch irrational günstig gehandelt. Wer die Aktie zu einem „Rabattpreis“ kauft, erlangt einen Vorteil, wenn die Marktstimmung wieder zu normalen oder teuren Preisen zurückpendelt.

Das bekannte Schlagwort, das letzteres Prinzip beschreibt, ist die „Margin of Safety“ oder Sicherheitsmarge. Das Konzept stammt aus der Ingenieurskunst und bedeutet hier, dass man eine Aktie nur kaufen soll, wenn sie z.B. halb soviel kostet wie ihr berechneter „wahrer Wert“. Damit sollen die Konsequenzen fehlerhafter Abschätzungen oder anderer Unvorhersehbarkeiten abgefedert werden.

Das frühe Value Investing

Benjamin Grahams Investmentstil war stark von den Nachwirkungen der 1929er Depression geprägt. Insbesondere stellte er fest, dass manche Unternehmen vom Markt extrem stark abgestraft wurden, so dass sie an der Börse für weniger als den Inhalt ihres Bankkontos gehandelt wurden — ganz zu schweigen von Anlagen, Inventar usw. Wurden solche Firmen tatsächlich geschlossen und abverkauft, oder erholte sich ihr Aktienpreis, konnten überdurchschnittliche Gewinne erzielt werden.

Auf diese Art erzielte Benjamin Graham mit seinem „Graham-Newman Partnership“ über 20 Jahre hinweg einen durchschnittlichen Jahres-Return von ca. 20%. Dabei folgte Graham durchaus einem sehr diversifizierten Ansatz: 1947 befanden sich z.B. gut 80 Aktien sowie diverse Anleihen im Besitz des Partnerships. Der Fokus lag dabei auf dem Ausnutzen kurzfristiger Marktirrtümer, nicht so sehr auf der Qualität der Unternehmen oder einer langfristigen Haltedauer.

Auch im „Intelligent Investor“ empfiehlt Graham einen diversifizierten Ansatz: Gesucht sind „günstige“ Aktien mit niedrigem KGV und gleichzeitig niedrigen KBV (Kurs-Buchwert-Verhältnis), die möglichst eine Historie von mindestens 10 Jahren haben, mit wachsendem Profit und ununterbrochenen Dividendenzahlungen. Mit vielleicht 20 oder 30 dieser Unternehmen wird das Portfolio aufgebaut.

Solche Aktien entsprechen in etwa dem, was gemeinhin als „Value-Aktie“ verstanden wird. Nach ähnlichen Vorschriften werden auch diverse Value-ETFs aufgebaut. Beispiel: der MSCI World Enhanced Value, mit dem ich selber auch schon Erfahrungen gesammelt habe.

Buffett und Munger

Auch der junge Warren Buffett folgte zunächst einem ganz ähnlichen Ansatz wie das Graham-Newman Partnership. Mit zunehmend prosperierender Wirtschaft wurde es jedoch immer schwieriger, solche offensichtlich unterbewerteten Unternehmen zu finden. Auch von der breiten Diversifikation nahm Buffett zunehmend Abstand, wie sich z.B. in seinem 1966er Partnership Letter nachlesen lässt:

We diversify substantially less than most investment operations. We might invest up to 40% of our net worth in a single security under conditions coupling an extremely high probability that our facts and reasoning are correct with a very low probability that anything could drastically change the underlying value of the investment.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Buffett bereits Charlie Munger kennengelernt, der seinen Fokus zunehmend von den „Zigarrenstummeln“ — Unternehmen, die buchstäblich in den letzten Zügen lagen — hin zu „großartigen“ Unternehmen lenkte.

Der Wert solcher Unternehmen, die mit großer Wahrscheinlichkeit in der Zukunft weiterbestehen werden, bemisst sich weniger am Wert der vorhandenen Anlagen, des Inventars etc., sondern vielmehr am zukünftig verdienten Geld, dem Cashflow.

Focus Investing

Diesen Investmentstil prägten Buffett und Munger schließlich auch „ihrem“ Unternehmen Berkshire Hathaway auf: Ein Portfolio großartiger öffentlich gehandelter und auch privater Firmen. Obwohl die Anzahl der Firmen inzwischen sehr stattlich ist (ca. 50 Aktienpositionen, ca. 60 Subunternehmen), ist der Ansatz sehr fokussiert: Die größten vier Aktienpositionen stellen über 60% des Gesamtportfoliowertes.

Dementsprechend hat sich für diesen Investmentstil der Begriff Focus Investing herausgebildet. Zentraler Punkt hierbei: Das Portfolio wird von einer Handvoll Positionen dominiert. Diese hat der Investor so ausführlich studiert und so geduldig abgewartet, dass er mit großer Sicherheit davon ausgehen kann, mit der Investition kein Geld zu verlieren.

Aufgrund dieser anderen Perspektive, aber auch der veränderten Unternehmenslandschaft, weichen solche Investments oftmals stark von Benjamin Grahams Vorgaben ab. Das trifft insbesondere auf stark wachsende Unternehmen zu, sowie auf „kapitalarme“ Unternehmen, die relativ zum benötigten Kapital sehr viel Cash produzieren — Stichwort Software-Unternehmen.

Meine eigene Ausrichtung geht klar in Richtung Focus Investing, was sich auch in meinen Unternehmensbesprechungen. NerdScores und sonstigen Artikeln widerspiegelt.

Wo positioniert ihr selber euch? Klassisches Value Investing? Focus Investing? Ein weiterer Ansatz, den ich hier nicht erwähnt habe? Lasst es mich gerne wissen!

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